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Krankheit und Kündigung -
Darf das sein oder schließt sich das aus?

Es ist ein immer wieder anzutreffender Irrtum, dass wegen einer Krankheit oder im Krankenstand nicht gekündigt werden darf. Tatsächlich darf ein kranker Arbeitnehmer auch wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten gekündigt werden. Es muss jedoch danach differenziert werden, in welcher Situtation sich der Arbeitnehmer befindet. Ist er noch in der Probezeit oder findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auf sein Arbeitsverhältnis keine Anwendung, sind die Maßstäbe für die Wirksamkeit der Kündigung komplett andere als für den Fall, dass das KSchG gilt.

Übergroße Hand, die kurz davor ist, kleine Figur wegzuschnipsen

▌Nahezu schutzlos oder nicht? Auf die Anwendbarkeit des KSchG kommt es an…

Wie hoch der Schutz des Arbeitnehmers vor einer Kündigung ist, hängt maßgeblich davon ab, ob das KSchG anwendbar ist oder nicht.

Probezeit = im Regelfall kein KSchG

In der Probezeit kann der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer binnen zwei Wochen kündigen. Voraussetzung ist, dass die Probezeit vereinbart wurde und dass noch keine sechs Monate seit Beginn des Arbeitsverhältnisses vergangen sind (§ 622 Abs. 3 BGB). In der vereinbarten Probezeit ist das KSchG in der Regel nicht anwendbar. Dieses gilt nämlich in zeitlicher Hinsicht erst, wenn das Arbeitsverhältnis sechs Monate (Wartezeit) überdauert hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). In der Regel ist auch eine Probezeit nur für die ersten sechs Monate vereinbart. Sollte ausnahmsweise eine längere Probezeit vereinbart werden, hat dies auf die zeitliche Anwendbarkeit des KSchG keine Auswirkungen.

Kleinbetrieb = kein KSchG

Nach Ablauf von sechs Monaten ist das KSchG anzuwenden, wenn der Betrieb kein Kleinbetrieb ist, dh. er muss idR. mehr als 10,251 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG). Findet das KSchG aus zeitlichen Gründen oder da der Betrieb nur Kleinbetrieb ist keine Anwendung, ist der Kündigungsschutz stark reduziert.

Kündigung nur ein engen Ausnahmen unwirksam, wenn das KSchG nicht anwendbar ist

Die Kündigung wird bei Nichtanwendbarkeit des KSchG nur unwirksam sein, wenn

  • sie sittenwidrig ist (§ 138 BGB),
  • sie gegen das Maßregelungsverbot verstößt (§ 612a BGB),
  • sie gegen ein Gesetz verstößt, bspw. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§§ 134 BGB i.V.m. dem jeweiligen schützenden Gesetz),
  • sie aus formellen Gründen unwirksam ist, etwa bei fehlender Vollmachtsvorlage eines Vertreters (§ 174 BGB), bei fehlender Vertretungsmacht des Kündigenden (§ 180 BGB) oder bei fehlender Schriftform der Kündigung (§ 623 BGB) oder
  • wenn die Anhörung des (ggf. bestehenden) Betriebsrats (§ 102 Abs. 1 BetrVG) fehlt.

Hohes Schutzniveau bei Anwendbarkeit des KSchG

Bei Anwendbarkeit des KSchG wird die Kündigung auf „Herz und Nieren“ geprüft. Sie darf nicht sozial ungerechtfertigt sein, d.h. es muss einen tatsächlichen Kündigungsgrund (verhaltens-, betriebs- oder personenbedingt) geben. Gegebenenfalls ist zuvor abzumahnen. Die Kündigung muss außerdem das mildeste Mittel sein und es hat eine Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes gegenüber dem Lösungsinteresse des Arbeitgebers stattzufinden (Verhältnismäßigkeit). Je nach Kündigungsart variieren die Anforderungen zusätzlich.

Auf den Punkt:

Ist ein Arbeitnehmer erkrankt und wird wegen der Erkrankung gekündigt, wird innerhalb der Probezeit und bei Nichtanwendung von § 1 KSchG die Kündigung nur auf „Willkür“ überprüft. Findet § 1 KSchG hingegen Anwendung, ist eine krankheitsbedingte Kündigung nur wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist.

▌Krankheitsbedingte Kündigung und der Schutz durch das KSchG

Die Anforderungen an die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung sind sehr hoch. Sie variieren je nach der Art der Fehlzeiten des Arbeitnehmers und wurden von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts immer weiter konturiert.

Arten krankheitsbedingter Fehlzeiten

Es wird zwischen folgenden krankheitsbedingten Fehlzeiten unterschieden:

  • häufige Kurzerkrankungen
  • Dauererkrankung
  • Langzeiterkrankung

Bei häufigen Kurzerkrankungen dauert die einzelne Krankheit zwar in der Regel nicht lange an. Durch die Häufigkeit der Erkrankungen fehlt der Arbeitnehmer jedoch in der Gesamtheit so oft, dass dies dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist.

Bei einer Dauererkrankung erkrankt der Arbeitnehmer und fällt wegen dieser Erkrankung für die Zukunft sicher aus. Es ist nicht mehr davon auszugehen, dass er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Bei einer Langzeiterkrankung erkrankt der Arbeitnehmer sehr lang. Es ist jedoch nicht klar bzw. nicht ausgeschlossen, dass er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Anforderungen an eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung

Die Anforderderungen an eine wirksame krankheitsbedingte Kündigung sind sehr hoch. Folgende Voraussetzungen müssen dabei zusammen (kumulativ) vorliegen:

– Vorliegen einer Krankheit

In allen oben genannten Konstellationen muss überhaupt eine Krankheit vorliegen. Krankheit ist dabei ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der heilbedürftig ist oder in der Arbeitsunfähigkeit wahrnehmbar zutage tritt.2

Nicht die Krankheit selbst ist dabei der Kündigungsgrund, sondern die mit der Krankheit verbundenen Betriebsablaufstörungen!

– Negative (Gesundheits-)Prognose

Im Zeitpunkt der Kündigung muss mit Blick in die Zukunft der Fortbestand krankheitsbedingter Fehlzeiten denkbar sein, die dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar sind. Gegen eine solche negative Prognose kann etwa eine kürzlich erfolgreich durchgeführte Reha sprechen. Die negative Prognose ist einzelfallabhängig und bedarf der jeweiligen Prüfung im konkreten Fall.

An dieser Hürde scheitern viele krankheitsbedingte Kündigungen, da diese Prognose schwer zu treffen ist und allein die Erkrankung in der Vergangenheit nicht sanktioniert werden darf. Es müssen daher in einer Art Gesamtbetrachtung Schlüsse für die Zukunft gezogen werden, die eine negative Gesundheitsprognose rechtfertigen. Das dies im Einzelfall sehr schwer sein kann, liegt auf der Hand.

– Betriebsablaufstörungen oder Störung anderer betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen

Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten müssen zu Betriebsablaufstörungen oder der Beeinträchtigung anderer betrieblicher Interessen führen.

Entgeltfortzahlungskosten als Einschränkung betrieblicher Interessen

Es ist nach der Rechtsprechung anerkannt, dass allein die Entgeltfortzahlungskosten des Arbeitgebers die betrieblichen Interessen derart einschränken, dass eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt ist.

Bei häufigen Kurzerkrankungen können immer wieder Entgeltfortzahlungskosten entstehen, so dass hier die Voraussetzung oft erfüllt sein wird. Im Fall der Dauerkrankheit sind zwar weniger die Entgeltfortzahlungskosten ein Problem. Hier greift nach sechs Wochen das Krankengeld (siehe dazu auch den Beitrag → Vergütung bei Krankheit: Entgeltfortzahlung & Krankengeld).

Jedoch ist bei einer Dauererkrankung die Störung des betrieblichen Interesses offenkundig. Der Arbeitnehmer kehrt ja nicht mehr zurück. Auch im Fall der Langzeiterkrankung fallen Entgeltfortzahlungskosten i.d.R. nur für sechs Wochen an. Danach ist die Störung reduziert, da das Krankengeld greift. Jedoch können die Kosten für eine befristete Ersatzkraft oder andere Auffangmaßnahmen derart ins Gewicht fallen, dass das berechtigte wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt ist. Auch hieran scheitern in der Praxis viele Kündigungen. Den Arbeitgeber trifft nämlich insoweit die Darlegungslast, die in der Regel sehr schwer zu erfüllen ist.

– Verhältnismäßigkeit (Interessenabwägung)

Neben den bereits genannten Voraussetzungen muss die Kündigung zusätzlich verhältnismäßig sein. Das heißt sie muss zum einen das letzte denkbare Mittel sein (ultima-ratio). Hierbei wird aktuell diskutiert, welche Rolle die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung spielt (siehe hierzu auch den Beitrag → Schutz für Schwerbehinderte & Erkrankte: bEm und Präventionsverfahren). Zum anderen muss eine umfassende Abwägung des Interesses des Arbeitgebers – das Arbeitsverhältnis zu beenden – mit dem Interesse des Arbeitnehmers – das Arbeitsverhältnis fortzuführen – zugunsten des Arbeitgebers ausschlagen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere Dauer der Fehlzeiten sowie Dauer der Betriebszugehörigkeit. Es darf dem Arbeitgeber nach Abwägung dieser Interessen nicht zumutbar sein, diesen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen.

Nur dann, wenn alle genannten Voraussetzungen kumulativ, also zusammen erfüllt sind, ist eine krankheitsbedingte Kündigung wirksam.

1 Beachte: Hat das Arbeitsverhältnis schon vor dem 01.01.2004 begonnen, müssen in dem Betrieb nur mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt sein, damit das KSchG Anwendung finden kann (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG).
2 Schaub, Arbeitsrecht A-Z, 20. Aufl. 2016, Krankheit.


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