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Behinderter Bewerber -
BAG zur Einladung zum Vorstellungsgespräch & Mindestnote

Öffentliche Arbeitgeber müssen einen schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen, wenn die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt (§ 165 S. 3, 4 SGB IX). Das BAG (Urt. v. 29.04.2021 – 8 AZR 279/20) hat entschieden, dass das Fehlen der fachlichen Eignung anzunehmen sein kann, wenn der Bewerber eine als zwingendes Auswahlkriterium bestimmte Mindestnote nicht erreicht hat – mit der Folge, dass der Bewerber deswegen nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden muss. Das zwingende Auswahlkriterium muss allerdings konsequent angewendet werden.

BAG, Urteil vom 29. April 2021 – 8 AZR 279/20

Der Fall:

Der Kläger ist schwerbehindert. Er bewarb sich bei der Beklagten, die im Sommer 2018 mehrere Referentenstellen für eine Beschäftigung im Bundesamt für Verfassungsschutz ausgeschrieben hatte. In der Stellenausschreibung hieß es u.a.: „Sie verfügen über ein wissenschaftliches Hochschulstudium … der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften … mit mindestens der Note ‚gut‘.“ Der Kläger hatte sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sondern erhielt in einer E-Mail der Beklagten die Mitteilung, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei. Daraufhin machte er zunächst außergerichtlich eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Diesbezüglich teilte die Beklagte dem Kläger mit, er erfülle – da er sein Studium mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen habe – nicht die formalen Kriterien der Stellenausschreibung und habe deshalb nach § 165 Satz 4 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.

Mit seiner Klage verfolgte der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung weiter. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn den Vorgaben des SGB IX und des AGG zuwider wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt. Dies folge daraus, dass die Beklagte ihn entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Er sei auch fachlich für die Stelle geeignet gewesen. Die in § 165 Satz 4 SGB IX zugelassene Ausnahme von der Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Stellenbewerbern sei eng auszulegen. Damit sei es unvereinbar, die Abschlussnote eines Studiums als Ausschlusskriterium anzusehen. Die Beklagte habe dieses Kriterium auch nicht während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Allerdings wurde die angefochtene Entscheidung wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg als Vorinstanz aufgehoben und nicht etwa, weil die grundsätzliche Argumentation der Beklagten fehlgeht.

Die Argumentation des BAG:

Das BAG entschied, dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wird.

Berechtigung, in der Stellenausschreibung eine Mindestnote als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen

Das Landesarbeitsgericht hatte – auch nach Ansicht des BAG – zutreffend angenommen, dass die Beklagte berechtigt war, in der Stellenausschreibung für den von ihr geforderten Hochschulabschluss die Mindestnote „gut“ als zwingendes Auswahlkriterium zu bestimmen und dass dem Kläger angesichts dessen die fachliche Eignung für die ausgeschriebenen Stellen offensichtlich fehlte.
Auch nach Ansicht des BAG kann das offensichtliche Fehlen der fachlichen Eignung anzunehmen sein, wenn der Bewerber eine in einem nach Art. 33 Abs. 2 GG zulässigen Anforderungsprofil als zwingendes Auswahlkriterium bestimmte Mindestnote des geforderten Ausbildungsabschlusses nicht erreicht hat. Daran ändert der Umstand, dass § 165 Satz 4 SGB IX als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, nichts. Dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG sind auch die durch das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG geschützten Personengruppen unterworfen.

Konsequente Anwendung des Anforderungsprofils erforderlich

Im vorliegenden Fall kam es zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht, da dieses nicht geprüft hatte, ob die Beklagte auch niemand anderen, der das geforderte Hochschulstudium nicht mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossen hatte, zum Vorstellungsgespräch eingeladen bzw. eingestellt hat. Die zulässige Anforderung, die die Beklagte aufgestellt hatte – ein bestimmtes, mit der Mindestnote „gut“ abgeschlossenen Hochschulstudium – muss diese im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren auch konsequent angewendet haben. Hierfür trägt sie die Darlegungs- und Beweislast. Daher muss der Fall nun erneut vom Landesarbeitsgericht verhandelt und entschieden werden.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 10/21 des BAG vom 29.04.2021


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