Das Sozialgesetzbuch beinhaltet in seinem 9. Buch auch Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie z.B. Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement und Präventionsverfahren (siehe hierzu auch den Beitrag → Schutz für Schwerbehinderte & Erkrankte: BEM und Präventionsverfahren). Im SGB IX finden sich aber auch Regelungen, die die Kündigung von Schwerbehinderte und Gleichgestellte betreffen. Bezüglich Kündigungen gibt es bei diesen Personengruppen einige Besonderheiten zu beachten, auf die dieser Beitrag im Folgenden eingehen wird.
- Keine Unkündbarkeit, aber erschwerende Hürden
- Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (§ 178 Abs. 2 SGB IX)
- Vorherige Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX)
- Was muss der Arbeitgeber zuerst tun: Schwerbehindertenvertretung oder Integrationsamt?
- Kündigungsschutz bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung
- Kündigungsschutz bei noch laufenden Anträgen bzgl. Schwerbehinderung oder Gleichstellung
▌Keine Unkündbarkeit, aber erschwerende Hürden
Auch ein behinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer kann gekündigt werden. Eine Unkündbarkeit, weil jemand schwerbehindert oder einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, gibt es nicht. Jedoch sollen Schwerbehinderte und Gleichgestellte davor geschützt werden, dass sie allein wegen ihrer behinderungsbedingten Einschränkungen ihren Arbeitsplatz verlieren. Daher sieht das Gesetz in § 168 SGB IX (Zustimmung des Integrationsamts) und § 178 Abs. 2 SGB IX (Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung) besondere Formalitäten vor, die der Arbeitgeber bei einer Kündigung zwingend zu beachten hat und die den betroffenen Arbeitnehmer schützen.
▌Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (§ 178 Abs. 2 SGB IX)
In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, muss gem. § 177 Abs. 1 S. 1 SGB IX eine Schwerbehindertenvertretung gewählt werden. Besteht eine Schwerbehindertenvertretung, muss der Arbeitgeber diese vor jeder Kündigung eines Schwerbehinderten oder Gleichgestellten über die geplante Kündigung detailliert unterrichten und anhören (§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Einer Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung – so wie ein Integrationsamt gem. § 168 SGB IX zustimmen muss –
bedarf es nicht. Die Schwerbehindertenvertretung kann die Kündigung nicht verhindern oder untersagen.
Beteiligung unabhängig von Betriebsgröße und Mindestbeschäftigungszeit
Das Erfordernis der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist allein an das Bestehen einer Schwerbehindertenvertretung geknüpft. Es muss daher keine bestimmte Betriebsgröße gegeben sein. Sofern ein Kleinbetrieb tatsächlich eine Schwerbehindertenvertretung hat, muss diese auch hier beteiligt werden. Auch muss der Arbeitnehmer – anders als beim Sonderkündigungsschutz iSd. § 168 SGB IX – keine Mindestbeschäftigungszeit von sechs Monaten vorweisen können.
Bei Nicht-Beachtung der Beteiligung: Unwirksamkeit der Kündigung
Die Nicht-Beteiligung einer vorhanden Schwerbehindertenvertretung kann dem Arbeitgeber ziemlich auf die Füße fallen: Unterlässt er die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, hat dies seit 2017 zur Folge, dass die Kündigung allein schon durch diesen Verstoß unwirksam ist (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX).
Achtung: Kündigungsschutzklage erforderlich
Die Unwirksamkeit der Kündigung tritt nicht von allein ein. Der Arbeitnehmer muss binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung (§ 4 S. 1 KSchG) Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben, um die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen zu lassen. Wird binnen dieser 3-Wochen-Frist keine Klage erhoben, wird die Kündigung – trotz des Mangels – rechtswirksam.
▌Vorherige Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX)
§ 168 SGB IX fordert vom Arbeitgeber, dass er einen Schwerbehinderten oder Gleichgestellten nur mit vorheriger(!) Zustimmung des Integrationsamts kündigen darf. Möchte der Arbeitgeber einen Schwerbehinderten oder Gleichgestellten kündigen, muss er sich also im Vorfeld an das Integrationsamt wenden. Das Integrationsamt prüft sodann den konkreten Fall darauf hin, ob die geplante Kündigung mit der Behinderung im Zusammenhang steht oder nicht. Kommt das Integrationsamt zu dem Ergebnis, dass die geplante Kündigung nichts mit der Behinderung zu tun hat (z.B. der Arbeitnehmer hat etwas gestohlen, die Kündigung ist betriebsbedingt o.ä.), erteilt es die Zustimmung. Verweigert es die Zustimmung, weil die geplante Kündigung mit der Behinderung zu tun hat, ist die Kündigung ausgeschlossen.
Zustimmungserfordernis auch in Kleinbetrieben, aber sechs Monate Mindestbeschäftigungszeit
Um in den Genuss dieses besonderen Kündigungsschutzes zu kommen, muss das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung allerdings bereits länger als 6 Monate bestanden haben (§ 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Anders als beim allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz ist für den Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter und Gleichgestellter die Größe des Betriebes irrelevant. Schutz besteht auch in Kleinbetrieben.
Unwirksamkeit der Kündigung, wenn Zustimmung fehlt oder nicht eingeholt wird
Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Integrationsamts
▌Was muss der Arbeitgeber zuerst tun: Schwerbehindertenvertretung oder Integrationsamt?
▌Kündigungsschutz bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung
Manchmal wissen Arbeitgeber gar nichts davon, dass sie einen Schwerbehinderten beschäftigen. Anders als beim Gleichstellungsantrag wird der Arbeitgeber nicht in das Verfahren involviert, wenn ein Arbeitnehmer beim Versorgungsamt einen Schwerbehindertenausweis beantragt bzw. einen Antrag auf Feststellung des GdB (Grad der Behinderung) stellt. Der Sonderkündigungsschutz ist jedoch nicht davon abhängig, dass der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung von der Schwerbehinderung Kenntnis hatte.
Muss ein Arbeitnehmer den Arbeitgeber von sich aus darüber informieren, dass er schwerbehindert ist?
Darf ein Arbeitgeber nachfragen, ob eine Schwerbehinderung beim Arbeitnehmer vorliegt?
Wann muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Falle einer Kündigung von seiner Schwerbehinderung informieren?
▌Kündigungsschutz bei noch laufenden Anträgen bzgl. Schwerbehinderung oder Gleichstellung
Es kann auch passieren, dass ein Arbeitgeber kündigt, wenn der Arbeitnehmer bereits einen Antrag auf Feststellung des GdB/einer Schwerbehinderung und/oder einen Gleichstellungsantrag gestellt hat, über diese Anträge jedoch noch nicht entschieden wurde. Auch hier besteht unter gewissen Bedingungen bereits Sonderkündigungsschutz.
Entscheidung über die Gleichstellung ist noch offen
Wenn der Arbeitnehmer den Antrag auf Gleichstellung mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt und ohne Beanstandung mitgewirkt hat, greift der Sonderkündigungsschutz auch, wenn der Arbeitnehmer später tatsächlich gleichgestellt wird.