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Stufenweise Wiedereingliederung Schwerbehinderter -
Arbeitgeber kann bei begründeten Zweifeln ablehnen

Schwerbehinderte haben gem. § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX (bis 31.12.2017: § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX aF) gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Auf dieser Grundlage kann der Arbeitgeber auch verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung derart mitzuwirken, dass er den Schwerbehinderten entsprechend den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplans des behandelnden Arztes beschäftigt. Nach dem BAG (Urt. v. 16.05.2019 – 8 AZR 530/17) darf der Arbeitgeber den Wiedereingliederungsplan allerdings ablehnen, wenn begründete Zweifel an der gesundheitlichen Eignung bestehen. Der Schwerbehinderte hat dann auch keinen Schadensersatzanspruch wegen entgangener Vergütung.

BAG, Urteil vom 16. Mai 2019 – 8 AZR 530/17

Der Fall:

Der schwerbehinderte Kläger ist bei der beklagten Stadt als Technischer Angestellter beschäftigt. Im Zeitraum August 2014 bis März 2016 war er arbeitsunfähig erkrankt. Im September 2015 wurde der Kläger betriebsärztlich untersucht. Die Betriebsärztin befürwortete in ihrer Beurteilung im Oktober 2015 eine stufenweise Wiedereingliederung zur vorsichtigen Heranführung an die Arbeitsfähigkeit mit bestimmten Einschränkungen in der Tätigkeit. Der Kläger beantragte sodann bei der beklagten Stadt unter Vorlage des Wiedereingliederungsplans seines behandelnden Arztes von Ende Oktober die stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben im Zeitraum vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016. Der Wiedereingliederungsplan des behandelnden Arztes sah keine Einschränkungen in der Tätigkeit vor. Als absehbaren Zeitpunkt der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit gab der behandelnde Arzt den 18. Januar 2016 an. Anfang November lehnte die Beklagte diesen Wiedereingliederungsplan ab. Begründet wurde dies damit, dass ein Einsatz des Klägers im bisherigen Aufgabengebiet/Tätigkeitsbereich wegen der in der betriebsärztlichen Beurteilung aufgeführten Einschränkungen nicht möglich sei. Der Kläger legte daraufhin einen zweiten Wiedereingliederungsplanvor. Dieser sah eine Wiedereingliederung in der Zeit vom 4. Januar bis zum 4. März 2016 vor. Es lag zudem ein Bericht der behandelnden Psychologin bei, wonach Einschränkungen in der Tätigkeit nicht mehr bestanden. Die Beklagte stimmte nach erneuter – nun positiver – Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war auch erfolgreich. Der Kläger erlangte am 7. März 2016 seine volle Arbeitsfähigkeit wieder.

Der Kläger zog allerdings vor das Arbeitsgericht. Er fordert mit seiner Klage von der Beklagten den Ersatz der Vergütung, die ihm in der Zeit vom 18. Januar bis zum 6. März 2016 dadurch entgangen ist, dass die beklagte Stadt ihn nicht entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 beschäftigt hat. Das Arbeitsgericht hat diese Klage abgewiesen. Der Kläger legte hiergegen Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Das LAG hat der Klage sodann im Wesentlichen stattgegeben. Die beklagte Stadt ging hiergegen in Revision beim Bundesarbeitsgericht und hatte damit Erfolg: Nach dem BAG steht dem Kläger kein Schadensersatz zu.

Die Argumentation des BAG:

Das BAG sah keine Verpflichtung der beklagten Stadt, dass sie den Kläger entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans vom 28. Oktober 2015 in der Zeit vom 16. November 2015 bis zum 15. Januar 2016 hätte beschäftigen müssen. Ein Arbeitgeber kann zwar nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX aF (seit 01.01.2018: . § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX)  verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung derart mitzuwirken, dass er den Beschäftigten entsprechend den Vorgaben des Wiedereingliederungsplans beschäftigt. Im Fall des Klägers lagen allerdings besondere Umstände vor, aufgrund derer die beklagte Stadt ihre Zustimmung zum Wiedereingliederungsplan vom 28. Oktober 2015 verweigern durfte. Es bestand aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 die begründete Befürchtung, dass der Gesundheitszustand des Klägers eine Beschäftigung entsprechend diesem Wiedereingliederungsplan nicht zulassen würde. Diese begründeten Zweifel an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ließen sich auch nicht bis zum vorgesehen Beginn der Maßnahme ausräumen. Folglich bestand auch kein Schadensersatzanspruch.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 22/19 des BAG vom 16.05.2019


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