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Beförderung von Beamten -
Bei Konkurrentenklage kann das Anfechtungsrecht verwirken!

Es kann äußerst ärgerlich sein: Der Beamte hat einen Bewerbungsverfahrensanspruch auf leistungsgerechte Berücksichtigung im Auswahlverfahren. Und was macht der Dienstherr? Er ernennt einfach unter Verletzung dieses Anspruchs einen Konkurrenten. Nur wenn der Beamte seine  Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs vor Ernennung nicht ausschöpfen konnte, hat er noch eine Chance, den Konkurrenten im Wege einer Anfechtungsklage wieder aus dem Amt zu bekommen. Hierfür gibt es allerdings zeitliche Grenzen: Das BVerwG (Urt. v. 30.08.2018 – 2 C 10.17) hat nämlich entschieden: Das Anfechtungsrecht bei der Konkurrentenklage kann verwirken!

BVerwG, Urteil vom 30. August 2018 – 2 C 10.17

Der Fall:

Die Klägerin – eine Studienrätin im Dienste des Freistaats Thüringen – wandte sich im Jahr 2013 gegen die im Jahr 2009 vorgenommene Beförderung einer Kollegin zur Oberstudienrätin und beanspruchte ihre eigene Beförderung. Die Kollegin war ohne Ausschreibung und ohne Mitteilungen an bei der Auswahl nicht berücksichtigte andere beamtete Lehrer befördert worden. Vor dem VG Weimar und dem OVG Weimar blieb ihre Klage ohne Erfolg. Das OVG Weimar führte in seinem Berufungsurteil aus, dass die Klägerin ihr Anfechtungsrecht verwirkt habe. Sie sei über Jahre hinweg untätig geblieben, obwohl ihr regelmäßige Beförderungen für Lehrkräfte bekannt gewesen seien. Jedenfalls hätte sie sich durch einfache Nachfrage darüber Kenntnis verschaffen können. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun auch die Revision zurückgewiesen.

Die Argumentation des BVerwG:

Das BVerwG urteilte, dass der geltend gemachte Anspruch der Klägerin verwirkt sei. Der Dienstherr habe zwar den Bewerbungsverfahrensanspruch der Klägerin auf leistungsgerechte Berücksichtigung im Auswahlverfahren verletzt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe die Klägerin aber Kenntnis gehabt, dass alljährlich und in regelmäßigen Abständen Beförderungen vorgenommen wurden. Daher sei es ihr zumutbar gewesen, binnen eines Jahres nach Ernennung der Kollegin zur Oberstudienrätin (1. April 2009) diese Ernennung anzufechten. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für diese Jahresfrist sei § 58 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das erst im Jahr 2013 gestellte Rechtsschutzgesuch sei daher verspätet. Zu diesem Zeitpunkt habe die zur Oberstudienrätin beförderte Kollegin darauf vertrauen dürfen, dass ihr neues Amt stabil und unangreifbar ist.

▌Der Grundsatz der Ämterstabilität

Nach ständiger Rechtsprechung hat ein unter Beachtung des Art. 33 Abs. 2 GG ausgewählter Bewerber einen Anspruch auf Verleihung des Amtes durch Ernennung.1  Ist die Ernennung erst einmal erfolgt, herrscht der sog. Grundsatz der Ämterstabilität. Die Ernennung kann grundsätzlich nur unter bestimmten engen, gesetzlich klar geregelten Voraussetzungen rückgängig gemacht werden. Insbesondere ist nicht vorgesehen, dass eine Ernennung  durch Rechtsbehelfe eines Konkurrenten rückgängig gemacht werden kann – selbst wenn die Ernennung in die Rechte der unterlegenen Bewerber aus Art. 33 Abs. 2 GG eingreift. Im Zusammenhang mit unterlegenen Bewerbern gibt es nur ganz enge Ausnahmefälle, in denen es zu einer Rückgängigmachung der Ernennung kommen kann.

Grundätzlich: Rückgängigmachung von Ernennungen nur unter gesetzlichen Voraussetzungen

Eine Ernennung kann grundsätzlich nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen erfolgen. Für Bundesbeamte finden sich diesbezügliche Regelungen beispielsweise in § 13 BBG und § 14 BBG. So regelt § 14 BBG zum Beispiel, dass die Ernennung u.a. zurückzunehmen ist, wenn sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt wurde oder dem Dienstherrn nicht bekannt war, dass die ernannte Person wegen einer Straftat rechtskräftig verurteilt ist und deswegen für die Berufung in das Beamtenverhältnis als unwürdig erscheint.

Keine Rückgängigmachung, wenn der unterlegene Bewerber vor Ernennung Rechtsschutzmöglichkeiten hätte ausschöpfen können

Selbst wenn die Ernennung in die Rechte des unterlegenen Bewerbers eingreift, ist sie wegen des Grundsatzes der Ämterstabilität geboten. Nach Ernennung des Konkurrenten bestehen im Normalfall keine Rechtsbehelfe mehr, die es dem übergangenen Bewerber ermöglichen, die Rückgängigmachung dieser Ernennung zu bewirken. Der unterlegene Bewerber hat nämlich im Regelfall vor der Ernennung des Konkurrenten die Möglichkeit, seinen Bewerbungsverfahrensanspruch gerichtlich geltend machen zu können. Er kann eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO beantragen, durch die dem Dienstherrn die Ernennung des ausgewählten Konkurrenten untersagt wird. Wenn eine solche einstweilige Anordnung in Rechtskraft erwächst, hat der Dienstherr das Auswahlverfahren – abhängig von Inhalt und Reichweites des Verstoßes gegen den Bewerbungsverfahrensanspruchs – vollständig oder partiell zu wiederholen und auf der Grundlage des wiederholten Verfahrens eine neue Auswahlentscheidung zu treffen. Eine Ernennung des Konkurrenten darf erst erfolgen, wenn feststeht, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg hat.

▌Wann kann der unterlegene Bewerber trotz Ämterstabilität ausnahmsweise doch gegen die Ernennung klagen?

Nach bereits erfolgter Ernennung wird eine Konkurrentenklage nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 04.11.2010 – 2 C 16.09) ausnahmsweise dann zugelassen, wenn der unterlegene Bewerber durch den Dienstherren daran gehindert worden ist, die Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs vor der Ernennung ausschöpfen zu können. In diesen Fällen der Rechtsschutzverhinderung ist auch nach Ernennung des Konkurrenten eine Anfechtungsklage möglich.

Das BVerwG führt in der genannten Entscheidung hierzu aus: „Die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Ernennung scheitert nicht bereits am Grundsatz der Ämterstabilität, weil dem Kläger der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG gebotene Rechtsschutz nicht erschöpfend vor der Ernennung gewährt worden ist. Aus diesem Grund ist eine inhaltliche Nachprüfung der Ernennung verfassungsrechtlich geboten. (…) … verhindert der Dienstherr den nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG gebotenen Rechtsschutz, wenn er den ausgewählten Bewerber ernennt, obwohl ihm dies durch eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts untersagt ist. Gleiches gilt, wenn er die Ernennung während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens vornimmt. Darüber hinaus liegen Fälle der Rechtsschutzverhinderung vor, wenn der Dienstherr die Ernennung ohne vorherige Mitteilungen an die unterlegenen Bewerber oder vor Ablauf der Wartefrist für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der gesetzlichen Frist für die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht oder der Wartefrist für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts vornimmt. Verstößt der Dienstherr vor der Ernennung gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 GG, so muss der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz nach der Ernennung nachgeholt werden. Der Dienstherr kann sich auf die Ämterstabilität nicht berufen, um Verletzungen des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu decken. Ansonsten hätte er es in der Hand, die Grundrechte unterlegener Bewerber durch vorzeitige Ernennungen auszuschalten.

▌Achtung: Möglichkeit der Verwirkung

Sofern ein Fall der Rechtsschutzverhinderung vorliegt, sollten sich unterlegene Bewerber allerdings nicht zuviel Zeit mit der Erhebung einer Anfechtungsklage lassen. Wie das BVerwG in der Entscheidung vom 30.08.2018 (Az. 2 C 10.17) geurteilt hat, ist eine Verwirkung des Anfechtungsrechts möglich.

Was ist eine Verwirkung?

Ein Recht kann verwirken. Das bedeutet, dass es nicht mehr geltend gemacht werden kann, wenn zeitlich gesehen seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und besondere Umstände hinzukommen, die eine spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treun und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment). Der Anspruch an sich besteht faktisch noch, aber er kann nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden – selbst wenn er noch nicht einmal verjährt ist. Wenn jemand also Kenntnis von seinem Anspruch hat, sich aber „Ewigkeiten“ nicht darum kümmert, obwohl er sich hätte kümmern können, wird angenommen, dass es ein widersprüchliches Verhalten ist, wenn er nun auf einmal diesen Anspruch durchsetzen will.
Betrachtet man den zugrundeliegenden Sachverhalt der Entscheidung des BVerwG vom 30.08.2018 (Az. 2 C 10.17), erschließt sich das Problem: Die Klägerin, die sich gut vier Jahre Zeit gelassen hat, gegen die Beförderung der Kollegin vorzugehen, könnte – wenn man keine Verwirkung annehmen würde – nach den ganzen Jahren im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage bewirken, dass die Ernennung der Kollegin noch rückgängig gemacht werden müsste! Dass das nicht billig und recht sein kann, gerade wenn es der Klägerin viel früher schon problemlos möglich gewesen ist, gegen die Beförderung gerichtlich vorzugehen, sollte einleuchten. Auch die beförderte Kollegin ist rechtlich gesehen in ihrer Position schutzbedürftig. Sie muss ab einem gewissen Zeitpunkt selbst auch die Sicherheit haben dürfen, dass ihr neues Amt stabil und nicht mehr angreifbar ist.

Ab wann ist der zeitliche Aspekt einer Verwirkung erfüllt?

Das BVerwG nimmt in seiner Entscheidung vom 30.08.2018 (Az. 2 C 10.17) im konkret entschiedenen Fall für die Verwirkung ein Jahr nach Ernennung an. Es nennt als gesetzlichen Anknüpfungspunkt für diese Jahresfrist § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO. Nach § 58 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.

Grundsätzlich: Umstände des Einzelfalls maßgeblich

Wann eine Verwirkung vorliegt, ist allerdings immer im Einzelfall zu beurteilen. So verweist bereits die Vorinstanz (OVG Weimar, Urteil vom 28. Juni 2016 – 2 KO 31/16) darauf, dass „nach der Rechtsprechung des BVerwG die Möglichkeit einer Verwirkung nicht an die Fristen der §§ 70 Abs. 1 und 58 Abs. 2 VwGO gebunden ist und deshalb je nach den Umständen auch schon vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO eintreten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 – IV C 2.72 – Juris, Rn. 28; Urteil vom 3. Dezember – 2 A 3/13 – Juris, Rn. 24, Monatsfrist).“ Das OVG Weimar als Vorinstanz führt dementsprechend eine Abwägung unter Berücksichtigung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen und insbesondere ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung durch und kommt zu dem Ergebnis, dass es angemessen erscheint „in Anfechtungsfällen der vorliegenden Art als längeren Zeitraum eine Zeitspanne von nicht mehr als einem Jahr anzusehen. Einem Beamten, der an seinem beruflichen Fortkommen interessiert ist, ist es zuzumuten, sich innerhalb dieser Zeitspanne über erfolgte Beförderungen zu informieren, sich rechtlich beraten zu lassen und zu entscheiden, ob er sich gegen die vorzeitig erfolgte Ernennung eines ausgewählten Beamten wendet.

 

1 Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.11. 2010, 2 C 16.09; BVerwG, Beschluss vom 27.09.2007, 2 C 21.06, 26. 06 und 29.07.


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