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Wenn der Arbeitgeber zu spät zahlt... -
BAG erteilt der 40 €-Verzugspauschale eine Absage

Wenn ein Schuldner nicht zahlt, ist das für den Gläubiger, der einen Anspruch auf diese Zahlung hat, äußerst ärgerlich. Um diesem Problem der mangelnden Zahlungsmoral zu begegnen, wurden in 2014 neue gesetzliche Regelungen geschaffen. Diese ermöglichen beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, dass der Gläubiger von seinem säumigen Schuldner – sofern es sich bei diesem um einen Unternehmer handelt – eine Verzugspauschale in Höhe von 40 € verlangen kann. In der Rechtsprechung war lange Zeit umstritten, ob auch ein Arbeitnehmer bei verspäteten oder unvollständigen Zahlungen seines Arbeitgebers diese 40 €- Pauschale i.S.d. § 288 Abs. 5 BGB einfordern kann. Nun hat sich am 25.09.2018 das BAG (Az. 8 AZR 26/18) zur Thematik entäußert: Im Arbeitsrecht bestehe kein Anspruch auf die Verzugspauschale.

BAG, Urteil vom 25. September 2018 – 8 AZR 26/18

Der Fall:

Ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer hatte seinen Arbeitgeber auf Zahlung rückständiger Besitzstandszulagen für die Monate Mai bis September 2016 in Anspruch genommen. Für drei dieser Monate hatte der Arbeitnehmer wegen Zahlungsverzug des Arbeitgebers jeweils 40 € Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB verlangt.
Der Arbeitnehmer war der Ansicht, dass die Regelung des § 288 Abs. 5 BGB auch im Arbeitsrecht anzuwenden sei. Der Arbeitgeber vertrat den Standpunkt, dass eine Anwendung der Regelung zur Verzugspauschale im Arbeitsrecht wegen § 12a ArbGG ausgeschlossen sei.

Die Argumentation des BAG:

Das BAG urteilte, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die geltend gemachten Verzugspauschalen habe. Grundätzlich finde § 288 Abs. 5 BGB auch in Fällen Anwendung, in denen sich der Arbeitgeber mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug befindet. Allerdings schließt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten, sondern auch einen entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch und damit auch den Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus.

Der rechtliche Hintergrund:

Der Stolperstein: § 12a ArbGG – Was steckt dahinter?

Das BAG stützt seine Argumentation auf § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Bei § 12a ArbGG handelt es sich um eine besondere Kostentragungsregelung für das Arbeitsrecht.

§ 12a ArbGG:

(1) In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Beistands. Vor Abschluß der Vereinbarung über die Vertretung ist auf den Ausschluß der Kostenerstattung nach Satz 1 hinzuweisen. Satz 1 gilt nicht für Kosten, die dem Beklagten dadurch entstanden sind, daß der Kläger ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanz- oder Sozialgerichtsbarkeit angerufen und dieses den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat.

(2) Werden im Urteilsverfahren des zweiten und dritten Rechtszugs die Kosten nach § 92 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung verhältnismäßig geteilt und ist die eine Partei durch einen Rechtsanwalt, die andere Partei durch einen Verbandsvertreter nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 vertreten, so ist diese Partei hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten so zu stellen, als wenn sie durch einen Rechtsanwalt vertreten worden wäre. Ansprüche auf Erstattung stehen ihr jedoch nur insoweit zu, als ihr Kosten im Einzelfall tatsächlich erwachsen sind.

Besonderheit der arbeitsrechtlichen Regelungen zur Kostentragung

In der ersten Instanz, d.h. vor dem Arbeitsgericht, gibt es keine Kostenerstattung der obsiegenden Partei. Auch derjenige, der den Prozess vor dem Arbeitsgericht gewinnt, muss – anders als z.B. im „normalen“ Zivilprozess – beispielsweise seinen Anwalt selbst bezahlen. Erst ab der zweiten Instanz, d.h. vor dem Landesarbeitsgericht, muss die verlierende Partei auch die gegnerischen Kosten übernehmen.

§ 12a betrifft sowohl den prozessualen als auch den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch

  • Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch

Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch betrifft die Prozesskosten und ergibt sich aus der Zivilprozessordnung (§§ 91 ff. ZPO). Diesen Anspruch hat eine Prozesspartei gegen die Gegenseite – abhängig davon, inwieweit sie obsiegt hat. Er basiert dementsprechend auf der gerichtlichen Kostenentscheidung. Betroffen sind nur die Kosten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens. Hierunter fallen die Gerichtskosten und die sog. außergerichtlichen Kosten. Gerichtskosten sind z.B. die Verfahrenskosten, d.h. die Gebühren, die zu zahlen sind, damit das Gericht überhaupt tätig wird, Zeugenentschädigungen, Kosten für notwendige Sachverständigengutachten, gerichtliche Auslagen (z.B. für Kopierkosten),… Außergerichtliche Kosten sind Kosten, die nicht seitens des Gerichts selbst angefallen sind, sondern die sonstigen Kosten, die den Parteien im Rahmen des Prozesses entstehen wie Anwaltskosten, Reisekosten, Verdienstausfall, eigene Auslagen,… Von den außergerichtlichen Kosten streng zu trennen sind die sog. vorgerichtlichen Kosten, d.h. die Kosten, die vor dem Gerichtsverfahren für die Rechtsverfolgung entstanden sind.

  • Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch

Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch betrifft den Ersatz von Kosten, die wegen der Rechtsverfolgung entstanden sind, aber keine Prozesskosten sind (für diese gibt es ja schon den prozessualen Kostenerstattungsanspruch). Der materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch betrifft beispielsweise die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die anwaltliche Tätigkeit vor dem Prozess. Um einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu haben, bedarf es einer Anspruchsgrundlage aus dem materiellen Recht, d.h. aus einem Gesetz, das nicht das Prozessrecht regelt. Ein solcher Anspruch kann sich z.B. aus Vorschriften zum Schadensersatz ergeben. Klassische Fälle, in denen materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche bestehen, sind der Verzug des Schuldners oder das Bestehen von Schadensersatzansprüchen, z.B. deliktische Ansprüche (etwa aus einem Verkehrsunfall) oder Ansprüche wegen Verletzung vertraglicher Pflichten.

  • BAG: § 12a ArbGG schließt alle Kostenerstattungsansprüche aus

Das BAG vertritt seit langem die Auffassung, dass § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG sowohl den prozessualen Kostenerstattungsanspruch betrifft als auch den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch. So führt es z.B. in seinem Urteil vom 27.10.2005 – 8 AZR 546/03 aus: „Der Ausschluss der Kostenerstattung betrifft zunächst den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, dh. denjenigen Anspruch, der sich aus § 91 ZPO ergibt. § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG schließt aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch aus, der als Schadensersatzanspruch entstanden ist, gleichgültig, worauf er gestützt wird (ausführlich 30. April 1992 – 8 AZR 288/91 – BAGE 70, 191 = AP ArbGG 1979 § 12a Nr. 6 = EzA ArbGG 1979 § 12a Nr. 9; 30. Juni 1993 – 7 ABR 45/92 – BAGE 73, 314 = AP ArbGG 1979 § 12a Nr. 8 = EzA ArbGG 1979 § 12a Nr. 10, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 12a Rn. 9). Der gesetzliche Ausschluss jedweder Kostenerstattung wegen Zeitversäumnis oder wegen der Kosten der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im ersten Rechtszug des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG 20. Juli 1971 – 1 BvR 231/69 – BVerfGE 31, 306, 308).

Eine ungerechte Kostenverteilung? Warum gibt es diese Regelung?

  • Sozialpolitische Gründe, die den Arbeitnehmer schützen sollen

Diese Regelung hat sozialpolitische Gründe. Der Gesetzgeber ist beim Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) von dem Gedanken ausgegangen, dass der Arbeitnehmer im Arbeitsgerichtsprozess typischerweise als der sozial Schwächere dem sozial stärkeren Arbeitgeber gegenübersteht. Es wurde daher versucht, das Arbeitsgerichtsverfahren kostengünstig und vom Prozessrisiko her überschaubar zu gestalten. Dementsprechend wurden zum einen die Gerichtsgebühren anders ausgestaltet als im Zivilprozess: In der ersten Instanz entsteht nur eine Gerichtsgebühr (statt wie im Zivilprozess drei Gerichtsgebühren), die Höhe der Gerichtsgebühr selbst ist geringer als im Zivilprozess und es gibt Kostenpriviliegien (z.B. fallen gar keine Gerichtskosten an, wenn die Parteien den Rechtsstreit durch einen Vergleich beenden). Zum anderen wurde besagte Regelung zur Kostentragung eingeführt. Sie zielt darauf ab, dass vor allem der sozial schwächere Arbeitnehmer von vornherein die Sicherheit hat, immer und äußerstenfalls nur die Kosten tragen zu müssen, die er selbst aufwendet. Darüber hinaus besteht in der ersten Instanz kein Anwaltszwang, so dass der Arbeitnehmer frei entscheiden kann, ob er Kosten für einen Anwalt aufwendet oder nicht. In der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht und in der dritten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht muss sich der Arbeitnehmer gem. § 11 Abs. 4 ArbGG hingegen zwingend vertreten lassen und darf den Prozess nicht allein führen. Hier wäre es unbillig, wenn man bei einer solchen zwingenden Vertretung nicht auch einen Kostenerstattungsanspruch vorsehen würde.

  • § 12a Abs. 1 ArbGG ist verfassungsgemäß

Nun bringt die Regelung des § 12a Abs. 1 ArbGG letztlich auch den unschönen Effekt für einen obsiegenden Arbeitnehmer in der ersten Instanz: Er muss trotz gewonnem Prozesses Kosten tragen. Bereits 1971 musste das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. vom 20.07.1971 – 1 BvR 231/16) im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde entscheiden, ob der Ausschluss der Kostenerstattung für die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Arbeitsgerichtsprozess verfassungsgemäß, d.h. mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Beschwerdeführer dieser Verfassungsbeschwerde sah eine Verletzung in mehreren Grundrechten: Art. 103 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör), Art. 19 Abs. 4 GG (Gebot effektiven Rechtsschutzes), Art. 14 GG (Eigentum), Art. 3 GG (Gleichheitsgebot) und Art. 2 GG (allgemeine Handlungsfreiheit). Die Regelung des ArbGG verleide nämlich einer Partei die Zuziehung eines Rechtsanwalts und beeinträchtige so den Zugang zu den Gerichten sowie das rechtliche Gehör. Es gebe auch keinen sachlichen Grund dafür, dass durch das ArbGG im Vergleich zu anderen Verfahrensordnungen der obsiegenden Partei die Kostenerstattung versagt werde. Das BVerfG sah keine Grundrechtsverletzungen. Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt sei ja faktisch möglich, selbst wenn sie wegen des Ausschlusses der Kostenerstattung praktisch erschwert sein sollte. Des Weiteren bestehe auch kein Anwaltszwang vor dem Arbeitsgericht. Die sachliche Rechtfertigung für die andersartige Regelung beim Arbeitsgerichtsverfahren im Vergleich zu anderen Verfahrensordnungen sah das BVerfG in den bereits oben erläuterten sozialpolitischen Gründen für die Regelung.

▌Die Verzugspauschale als „Schadensersatz“

Sieht man die Verzugspauschale des § 288 Abs. 5 BGB als einen pauschalisierten Schadensersatz oder einen „Strafschadensersatz“1 an, kann man – wie das BAG – zu der Wertung kommen, dass wegen § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG im erstinstanzlichen Verfahren kein entsprechender Kostenerstattungsanspruch bestehen kann.

Zweck der Verzugspauschale

2011 wurde eine europäische Richtlinie erlassen (EU-RL 2011/7/EU vom 16. Februar 2011), um Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zu bekämpfen. Diese Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber in den Absätzen fünf und sechs von § 288 BGB in das nationale Recht umgesetzt. Zweck der Verzugspauschale ist der Ausgleich für Beitreibungskosten, d.h. für Rechtsverfolgungskosten, die z.B. schon durch internen Verwaltungsaufwand wegen der misslichen Zahlungsangelegenheit entstehen. Ein tatsächlicher Schaden, d.h. dass solche Beitreibungskosten tatsächlich angefallen sind, muss nicht nachgewiesen werden. Einzelheiten zum Anwendungsbereich und den Voraussetzungen des Anspruchs finden Sie übrigens hier in unserem Beitrag → „Die 40 €-Verzugspauschale – Eine Schadenspauschale gegen mangelnde Zahlungsmoral“.

▌Lange Zeit Uneinigkeit der Arbeitsgerichte

Ob im Arbeitsrecht ein Anspruch auf die Verzugspauschale besteht, war bei den unterinstanzlichen Gerichten schwer umstritten. Hier ging es argumentativ zum einen darum, welchen Zweck die Verzugspauschale eigentlich hat. Zum anderen spielten potentielle Wertungswidersprüche eine Rolle, wenn man das arbeitgerichtliche Verfahren weiter denkt. So haben z.B. das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 9.10.2017 – 4 Sa 8/17; Urteil vom 13.10. 2016 – 3 Sa 34/16), das LAG Niedersachsen (Urteil vom 20.4.2017 – 5 Sa 1263/16), das LAG Köln (Urteil v. 22.11.2016 – 12 Sa 524/16), das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 22.03.2017 – 15 Sa 1992/16) die Verzugspauschale im Arbeitsrecht anerkannt. Die 5. Kammer des LAG Köln (Urteil vom 04.10.2017 – 5 Sa 229/17) hat die Anwendbarkeit hingegen verneint, ebenso z.B. das ArbG Düsseldorf (Urteil vom 12.5.2016 – 2 Ca 5416/15). Mit der Entscheidung des BAG scheint die Frage nach der Anwendbarkeit der Verzugspauschale im Arbeitsrecht erst einmal geklärt. Ob diese Entscheidung zu eindimensional am § 12a ArbGG ausgelegt ist und ggf. europarechtliche Intentionen unterläuft, wird sich irgendwann in Zukunft zeigen.

▌Neuere Entscheidungen der Instanzgerichte – Es bleibt spannend…

Kurz nach dem Urteil des BAG hat das Arbeitsgericht Dortmund (Urteil vom 02.10.2018 – 2 Ca 2092/18) ungeachtet der BAG-Entscheidung die Zahlung der Verzugspauschale bejaht. Es bleibt abzuwarten, wie weitere Gerichte urteilen und ob sich das BAG künftig noch einmal mit der Frage befassen muss. Dann wird es spannend, falls ein anderer Senat entscheidet und eventuell eine andere Auffassung als der 8. Senat vertritt.

1 Ernst in MüKo BGB, 7. Aufl. 2016, § 288 Rn. 29 .


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